St. Elisabeth-Verein in Marburg entwickelt innovatives E-Learning-Programm zur Qualifizierung von Pflegeeltern

10 Uhr morgens im Werra-Meißner-Kreis: Pflegemutter Yvonne Horstmann atmet auf. Hinter ihr liegt bereits ein turbulenter Morgen, an dem sie ihre fünf Pflegekinder für Kindergarten und Schule vorbereitet und den Haushalt erledigt hat.

Zum ersten Mal an diesem Tag findet sie etwas Ruhe und die will sie nutzen. Denn auch wenn man beim Anblick der bunten Bilder auf ihrem Tablet denken könnte, sie sei in ein Computerspiel vertieft, nimmt die erfahrene Pflegemutter gerade an einer digitalen Weiterbildung teil.

„Mein Alltag ist oft stressig. Umso mehr freue ich mich, dass es jetzt ein Lern-Angebot gibt, über das ich jederzeit an wertvolle Informationen komme.“, so die Pflegemutter. Was Yvonne Horstmann auf ihrem Tablet gestartet hat, ist ein E-Learning-Programm, das vom St. Elisabeth-Verein unter wissenschaftlicher Begleitung durch die Philipps-Universität Marburg speziell für Pflegefamilien entwickelt wurde. Der Fachbereich Pflegefamilien des St. Elisabeth-Vereins blickt auf mehr als 25 Jahre Erfahrung in der Begleitung und Qualifizierung von Pflegefamilien zurück und weiß, welche Themen Pflegeeltern in ihrem oft schwierigen Alltag unterstützen, wie beispielsweise Tipps zum Umgang mit den Herkunftseltern. Auch sensible Themen wie Traumafolgen oder psychische Erkrankungen werden behutsam umgesetzt. „Sogar als langjährige Pflegemutter entdecke ich hier immer wieder Neues. Besonders das Modul zu rechtlichen Grundlagen fand ich interessant, weil es hier in den letzten Jahren einige Änderungen gab.“, sagt Yvonne Horstmann.

Ideengeber des Projekts ist Bertram Kasper, Leiter des Fachbereichs Pflegefamilien am St. Elisabeth-Verein. „Kinder zu haben stellt an sich schon oft eine Herausforderung dar. Pflegekinder bringen aber nochmal ein besonderes Päckchen mit, denn die Gründe dafür, dass ein Kind aus seiner Herkunftsfamilie genommen wird, sind oft gravierend.“ Viele Kinder haben Vernachlässigung oder Gewalt erlebt, was natürlich Spuren hinterlässt. „Ich bin sehr dankbar, dass es Menschen gibt, die Pflegekindern gute Lebensorte schenken. Das ist großartig! Mit unserem E-Learning-Programm wollen wir die Familien bei dieser anspruchsvollen Aufgabe unterstützen.“, sagt der engagierte Fachbereichsleiter.

Dazu hat sich das Team um Bertram Kasper einiges einfallen lassen: Neben Storytelling, das die Inhalte anhand von Geschichten vermittelt, wurden einige Kapitel gamebasiert mit vielen spielerischen Übungen und Interaktionen umgesetzt. Eines war klar: Es darf nie langweilig werden! „Gerade in den letzten Jahren haben viele Leute durch die Pandemie die Lust am digitalen Lernen verloren.“, so Bertram Kasper. „Durch die lebhaften Geschichten, vielen Praxisbeispielen und dem spielerischen Ansatz bleibt das Lernen durchgehend spannend. Zudem kann immer wieder ein Blick auf die persönliche Lebenssituation geworfen werden. Wie geht es mir mit diesem Thema? Wie gehe ich mit bestimmten Situationen um? Es geht also nicht nur um die reine Inhaltsvermittlung, sondern auch darum, das Gelernte zu reflektieren und auf die eigenen Lebensumstände anzuwenden.“

Und dass Online-Lernen nicht bedeutet, mit dem frisch erworbenen Wissen allein zu sein, zeigt Yvonne Horstmann. Sie hat das E-Learning dazu genutzt, mit ihrem Mann noch einmal über verschiedene Themen ins Gespräch zu kommen. Den Wunsch der Pflegeeltern nach Austausch hat auch das E-Learning-Team aufgegriffen und bietet begleitend Online-Seminare an, bei denen interessierte Pflegeeltern über ausgewählte Themen sprechen und sich kennenlernen können.

Yvonne Horstmann ist jedenfalls begeistert: „Man merkt, dass das E-Learning mit viel Liebe zum Detail und einer großen Fachkenntnis entwickelt wurde. Es werden genau die Themen angesprochen, die in unserem Alltag oft eine Rolle spielen.“ Deswegen möchte Sie das Lernprogramm auch allen anderen Pflegeeltern ans Herz legen. Denn da das Projekt vom hessischen Sozialministerium mit einer Summe von über einer Million Euro gefördert wird, steht es hessischen Pflegefamilien noch bis Ende August 2025 kostenlos zur Verfügung. Interessierte können sich unter lernportal.pflegefamilien-akademie.de  registrieren.

[Infokasten zu Pflegeeltern]

Im Jahr 2021 lebten deutschlandweit 87300 Kinder in Pflegefamilien, davon knapp 5000 in Hessen. Die Gründe, warum ein Kind nicht bei seinen leiblichen Eltern bleiben kann, sind meist gravierend und reichen von Überforderung der Eltern bis hin zu Kindeswohlgefährdung.

Mehr Informationen finden Sie unter www.pflegefamilien-hessen.de   oder auf Anfrage bei Ihrem örtlichen Jugendamt.